1. Der Kleine Rote Fisch stellt sich vor

Vor der Küste, unweit der Mündung eines großen Flusses, erstreckt sich in geringer Tiefe ein kleines, von allerlei Meerestieren bevölkertes Riff. Korallen und vielfarbige Seeanemonen verleihen ihm ein gefälliges, buntes Aussehen, daher nennen es seine Bewohner auch das Schöne Bunte Riff.


Dieses Riff wird von drei Gräben durchzogen, in einem davon gibt es eine Reihe von Höhlen. Dort wohnen viele Fischfamilien. Die erste Höhle links gehört den Rotfischen, Papa Rotfisch, Mama Rotfisch und der Kleine Rote Fisch. Eine Muschel dient als Tisch, und an den Wänden wachsen drei Seeanemonen, die als Betten dienen. Nicht weit vom Eingang erstreckt sich ein großer, betriebsamer Platz, dort ist auch die Algenkneipe des Viertels, die „Tollkühne Seeschnecke“, und die Algenhandlung von Herrn Schwertfisch. Dieser erntet regelmäßig mit seinem Schwert alle möglichen Wasserpflanzen im nahegelegenen Tangwald ab.

In unmittelbarer Nachbarschaft der Rotfische wohnen Familie Blaufisch und etwas weiter weg die Familie Weißfisch. Diese drei Familien sind eng befreundet, was auch für die Kinder gilt. Der Kleine Rote Fisch, der Kleine Blaue Fisch und die Kleine Weiße Fischin stecken die meiste Zeit zusammen und gehen auch in dieselbe Klasse der Riff-Schule, wo sie von ihrem freundlichen Lehrer, Herrn Oberstudienrat Klein-Tuemmler, unterrichtet werden.

An jenem Morgen sprach der Oberstudienrat über die Menschen und die Gefahren, die von ihnen für das Schöne Bunte Riff ausgehen. „Ihr müsst wissen, liebe Kinder, dass die Menschen großen Schaden anrichten können. Ihr habt sie alle gesehen, wenn sie mit ihren lärmenden Floßen hierher kommen und ihr kennt auch die zwei Unterarten. Kleiner Roter Fisch, beschreibe sie uns bitte.“

« Ja, Herr Oberstudienrat, » antwortete der Kleine Rote Fisch. „Es gibt die mit schuppenloser, dunkler Haut und doppelten Schwanzflossen, einer seegurkenförmigen Rückenflosse, einem großen, in der Mitte liegenden Auge und einem sonderbaren Rohr an der Stelle des Mundes. Die anderen, die immer an der Oberfläche bleiben, haben verkümmerte Schwanzflossen, keine Rückenflosse und sind eher rosafarben mit einem bisschen Farbe in der Mitte ihrer Körper. Sie haben zwei Augen und auch sie sind ungeschuppt.“

« Sehr gut, mein Kleiner! », lobte Herr Klein-Tuemmler und an die ganze Klasse gewandt fragte er: „Kann mir jemand sagen, warum sie so schädlich sind?“

Ich, Herr Oberstudienrat! », rief die Kleine Weiße Fischin. « Sie versuchen manchmal uns einzufangen und sogar zu kidnappen und sie beschädigen immer wieder die Korallen. Außerdem werfen sie massenhaft unnützes und stinkendes Zeug ins Meer.“

„Da hast du leider recht“, sagte Herr Klein-Tuemmler als ein großer Mondfisch die Klasse betrat. „Guten Tag, Herr Bürgermeister!“, begrüßte ihn der Lehrer. « Grüßt ordentlich, Kinder! »

« Guten Tag, Herr Bürgermeister! » riefen die Kinder im Chor. „Guten Tag, meine getreuen Unterta… hm, ich meine, liebe Mitbürger!“ antwortete der Bürgermeister. „Ich störe nur ungern, aber es ist dringend. Eine große Gruppe von Menschen ist soeben bei uns angekommen und wir benötigen Unterstützung durch unsere Sicherheitskräfte. Weißt du, Kleiner Roter Fisch, wo ich deinen Vater finden kann?“

Um diese Frage zu verstehen muss man wissen, dass Papa Rotfisch der Wachtmeister des Ortes war und damit auch schon die Gesamtheit der Ordnungsmacht des Schönen Bunten Riffs darstellte.
„Er wollte nachsehen, ob am Rand desr großen Kluft alles in Ordnung ist, Herr Bürgermeister“, antwortete der Kleine Rote Fisch, worauf Bürgermeister Mondfisch entschied: „Ich werde ihn sofort holen gehen. Geht nach Hause, Kinder, für heute ist die Schule zu Ende!“ Daraufhin schwammen er zumr Kluft und die Kleinen Fische zu den Höhlen ihrer Familien.

Zu Hause erklärte der Kleine Rote Fisch, warum er schon da war. „Oh nein, meinte Mama Rotfisch, „Hoffentlich wird das für deinen Papa nicht gefährlich! Hast du Hunger? »

„Ja Mama. » sagte der Kleine Rote Fisch. „Was gibt es zu essen?“ Und als seine Mutter ihm antwortete: „Algen.“, rief er beglückt aus: „Algen, endlich wieder Algen! Obercool!“

In der Zwischenzeit hatte der Bürgermeister Papa Rotfisch gefunden und teilte ihm mit:« Getreuer Untert… Hm, lieber Mitbürger Wachtmeister ! Ich habe mich persönlich her begeben, um ihnen mitzuteilen, dass eine große Gruppe von Menschen des Typs „Dunkler Zyklop“ sich anschickt, zu uns herunterzukommen. Es sind viel mehr als sonst und ich fürchte um unsere Korallen. Sie müssen sofort etwas tun!“

„Bin zur Stelle, Herr Bürgermeister. Ich hasse es, wenn sie mit ihren lärmenden Floßen herkommen, ich möchte hinzufügen, mit ihren extrem lärmenden Floßen. Ich sehe nur ein kleines Problem. Sie sind 100 Mal größer als ich. Ich muss Verstärkung holen.“

« Tun sie das, getreuer Untert… äh, lieber Mitbürger“, sagte Bürgermeister Mondfisch zustimmend und Papa Rotfisch schwamm schnell zum Riff zurück. Am Eingang kam ihm sein Freund Papa Blaufisch entgegen. „Schnell weg hier! Der Bulle!“, scherzte dieser und klopfte Papa Rotfisch auf die Schulter. „Warum so eilig?“ „Anscheinend steht uns eine Menscheninvasion unmittelbar bevor.“, antwortete Papa Rotfisch.“ Ich gehe zu Professor Seepferd, ich habe nämlich keine Ahnung, wie wir diese Riesen vertreiben sollen.“

Die Fischjugend, der Kleine Rote Fisch, der Kleine Blaue Fisch und ihre Freundin, die kleine Weiße Fischin hatten mittlerweile über das gleiche Problem beratschlagt. „Was ist, wenn wir sie alle mit unseren Flossenball-Bällen bewerfen?“, schlug der Kleine Blaue Fisch vor. „Du und dein blöder Flossenball!“ ärgerte sich die Kleine Weiße Fischin. „Hast du nicht gesehen, wie groß die sind? Wir müssten sie erschrecken, aber wie?“

„Ich hab da eine Idee.“ Meinte der Kleine Rote Fisch, „Wir könnten Herrn Krake bitten, sie mit seiner Tinte zu übergießen. Was haltet ihr davon?“

Da niemand eine bessere Idee hatte, schwammen die Kleinen Fische rasch zu Papa Rotfisch, um ihn von ihrer Lösung zu informieren. Sie trafen ihn vor der Höhle von Professor Seepferd, einem ehemaligen Professer der Hochschule für Unterseeische Angelegenheiten, dem er soeben die Situation beschrieb. „Die Kleinen sind gar nicht dumm“, rief Professor Seepferd aus. „Gehen wir zum Kraken.“

Der reagierte aber äußerst ungehalten: „Schaut das ihr weiterkommt. Kann man in diesem Riff denn niemals in Ruhe nichts tun? Tschüss.“ brummte er grummelig.

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„Aber Herr Krake!“, rief Papa Rotfisch aus. „Sehen sie denn nicht ein, dass wir alle in Gefahr sind? Stellen sie sich einmal vor, wie es um ihre Ruhe bestellt wäre, wenn Horden von Menschen hier überall in unserem schönen Riff herumschwimmen und jede Spalte durchwühlen würden! Sie könnten sogar versuchen, uns zu entführen! So etwas soll schon vorgekommen sein!“

Der Krake grummelte noch eine Weile vor sich hin. „Grmmmm. Stimmt schon, irgendwie. Und ich soll mich tatsächlich von hier fortbewegen? Bin ich dafür so alt geworden, dass man mich so herumscheucht?“ Aber, immer noch vor sich hin schimpfend, folgte der Krake den anderen zu der Stelle, wo voraussichtlich die Invasion stattfinden sollte. Die ersten Menschen waren schon im Wasser und Papa Rotfisch bat: „Beeilen sie sich. Ich sehe, dass sich noch mehr zum Tauchen fertig machen.“ Daraufhin ließ der Krake eine riesige Tintenwolke in Richtung Floß los.

Angewidert begannen die Taucher zu schreien und verließen so schnell sie konnten das Wasser. „Sieg“, rief der Kleine Rote Fisch und „Forza! Olé! Tor!“ der Kleine Blaue Fisch, aber die Kleine Weiße Fischin lenkte ihre Aufmerksamkeit auf zwei Menschen, die noch in der Tintenwolke schwammen. Der Krake hatte sich schon wieder grummelnd in seine Höhle zurückgezogen, um dort endlich wieder in Ruhe nichts tun zu können.

„Diese beiden sind kleiner als die anderen.“, bemerkte Papa Rotfisch. „Vielleicht sind es Junge. Ich habe den Eindruck, dass sie die Orientierung verloren haben. Schaut nur, sie gehen tiefer und schwimmen auf die tiefe Kluft zu, während alle anderen zum Floß zurückgekehrt sind.“

„Wenn das so ist, müssen wir ihnen helfen“, rief die Kleine Weißfischin aus und der Kleine Rote Fisch fügte hinzu: „Schließlich haben sie uns nichts getan. Aber wie können wir sie nur zur Oberfläche lenken?“

Ohne zu zögern schwamm die Kleine Weiße Fischin auf die verirrten kleinen Menschen zu. Der Kleine Rote Fisch und sein kleiner blauer Freund folgten ihr, „Was macht ihr?“ rief Papa Rotfisch. „Kommt zurück! Das ist nur etwas für die Erwachsenen!“ Aber die Kleinen Fische hörten nicht auf ihn. Sie hatten die Menschen bereits erreicht

und schwammen vor deren riesigen einzigen Augen hin und her. Das verwirrte die kleinen Riesen und sie änderten ihre Richtung und schwammen nun zum Glück in Richtung Oberfläche. Die Kleinen Fische, nunmehr von Papa Rotfisch und Professor Seepferd begleitet, führten sie weiter hinauf und bald hatte die beiden die Meeresoberfläche erreicht.

Nun erwartete die Fische aber eine weitere Überraschung! Die kleinen Menschen rissen sich die Augen herunter! Aber nein, sie hatte darunter ja noch zwei kleinere. Was noch überraschender war: Sobald sie an Bord des Floßes geklettert waren, nahmen sie ihre Schwanzflossen ab und ließen sich beim Ablegen ihrer schwarzen Haut helfen!

„Habt ihr das gesehen!“ wunderte sich Papa Rotbarsch. „Sie gehören dem selben Typ wie die Oberflächenmenschen an! Und schaut: Der eine hat einen roten Streifen um den Bauch und der andere einen blauen.“

„Ha! Der Kleine Rote Mensch und der Kleine Blaue Mensch.“ rief die Kleine Weiße Fischin belustigt.

„Das ist alles sehr interessant.“, überlegte Professor Seepferd. „Eine neue Erkenntnis für die Wissenschaft! Die Universität muss sofort davon in Kenntnis gesetzt werden.“ Damit schwamm er in seine Höhle zurück, während Papa Rotfisch erklärte: „Ich muss noch da bleiben um zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Wir können noch nicht endgültig sagen, ob unser schönes Riff außer Gefahr ist. Bleibt noch bei mir.“ Er umkreiste mehrere Male das Schiff und die Kleinen Fische folgten ihm. Die beiden Menschen, die sie zur Oberfläche gebracht hatten, zeigten auf sie mit ihren Brustflossen und erklärten den anderen, dass die Kleinen Fische sie tatsächlich gerettet hatten – aber das konnten die Fische nicht verstehen. Sie konnten die Ausrufe und die Gesten nicht deuten, aber als einer der jungen Menschen eine Dose öffnete, daraus appetitliche Brocken nahm und diese ins Wasser warf, wurden sie neugierig.

Der Kleine Rote Fisch näherte sich den Brocken und schnupperte daran. „Riecht ausgezeichnet, Papa“, sagte er. „Erinnert mich an den verführerischen Geruch von gut abgehangenen Algen…“
„Tatsächlich!“, antwortete Papa Rotfisch. « Es muss etwas Essbares sein, wahrscheinlich ein typisches Menschfutter, das sie aus Dankbarkeit mit uns teilen. Offenbar ist doch nicht alles schlecht bei den Menschen und selbst sie haben eine Ahnung von Gut und Böse. Geht ein bisschen zur Seite, ich möchte ihre Nahrung probieren.“ Und da Papa Rotfisch von dem Menschefutter ganz begeistert war, machten sich auch die Kleinen Fische darüber her. „Eine komische Form hat das schon, aber es müssen Algen sein.“, überlegte der Kleine Rote Fisch, und schließlich jubelte er: „Algen, immer wieder Algen!“

Die Fische konnten nicht wissen, dass in genau diesem Moment einer der Menschen zum anderen sagte, was es doch für ein glücklicher Zufall war, dass sie eine Packung „Penta Min“-Fischfutter mitgenommen hatten.

Kurz darauf setzte sich das Floß der Menschen in Bewegung und verließ das Riff. „Ich gehe dem Bürgermeister Bericht erstatten. „ sagte Papa Rotfisch, „Das wird ihn beruhigen.“ Die Fische begaben sich also zur Wohnung des Bürgermeisters, der nachdem er dem Bericht entgegengenommen hatte, eine Bürgerversammlung einberief:

„Liebe Unterta… nein, Mitbürger! Dank meiner Umsicht und Entschlossenheit konnte eine schwere Krise abgewendet werden. Die Gefahr ist gebannt. Ich habe gemeinsam mit der unter meinem Oberkommando stehenden Ordnungsmacht mutig die Ungeheuer verjagt.“

Papa Blaufisch, der gerade neben seinem Freund, dem Papa Rotfisch stand, raunte ihm zu: „Mach dir nichts draus, der wird sich nie ändern. Aber wir wissen alle sehr gut, wem wir alles zu verdanken haben, nämlich dir und den Kindern.“
Papa Rotfisch ging noch mit seinem Sohn auf einen Algensaft in die „Tollkühne Seeschnecke“, die örtliche Algenkneipe, wo bereits das völlig neue Phänomen von Menschen, die offenbar nicht nur unschädlich sondern auch noch freundlich waren, heftig diskutiert wurde und auch viel Kopfschütteln hervorrief.

Als Papa Rotfisch und der Kleine Rote Fisch schließlich nach Hause kamen und Mama Rotfisch sie mit einer ausgezeichneten Algenmahlzeit überraschte, riefen beide begeistert aus: „Algen, wie schön. Endlich Algen!“ Und später, als sich der Kleine Rote Fisch in sein Anemonenbett legte und seine Kuschelkrabbe an sich drückte, erzählte ihm Papa Rotfisch erstmals als Gute-Nacht-Geschichte eine Geschichte vom Kleinen Roten Menschen.

© 2017 Olivier Fuchs – http://www.derkleinerotefisch.de